Notfallsanitäterinnen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in der Grafschaft Bentheim berichten von einer wachsenden Zahl an Übergriffen während ihrer Einsätze. Immer häufiger werden sie nicht nur verbal, sondern auch körperlich angegriffen – es kommt zu Spucken, Beißen, Tritten, Beleidigungen und Beschimpfungen. Was früher Ausnahmefälle waren, gehört heute für viele zum Arbeitsalltag. „Die Menschen registrieren kaum mehr, dass wir kommen, um ihnen im Notfall zur Seite zu stehen“, schildert Iris, eine der betroffenen Sanitäterinnen. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Julia, die ebenfalls anonym bleiben möchte, berichtet sie von den zunehmenden Herausforderungen im Rettungsdienst.

Die Gefahr geht dabei nicht nur von alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Personen aus. Häufig zeigen auch Angehörige oder Außenstehende kein Verständnis für die medizinischen Maßnahmen. „Kommt es zu Wartezeiten, kann das gewünschte Krankenhaus nicht angefahren werden oder stehen andere Entscheidungen an, entlädt sich der Frust oft an uns“, erklärt Iris. „Es sind mitunter Kleinigkeiten, die Menschen aufregen und über die sie ihren Unmut an uns auslassen“, ergänzt Julia. Auch außerhalb der akuten Notfälle mangelt es oft an Rücksichtnahme. Beschwerden über blockierte Straßen durch Einsatzfahrzeuge sind keine Seltenheit – obwohl diese in Notfällen unverzichtbar sind. „Wir können bei einem Notfall nicht erst nach einem entfernten Parkplatz suchen“, sagt Julia. „Doch das Anspruchsdenken vieler Menschen ist gestiegen. Oft steht das eigene Interesse im Vordergrund, während vergessen wird, dass jede Minute für den Patienten zählt.“

Beide Sanitäterinnen betonen, dass es sich bei den Übergriffen längst nicht mehr um Einzelfälle handelt. „Diese Vorfälle sind keine Bagatellen, sondern ein ernstes, zunehmendes Problem“, so Iris. Eskaliert die Situation, wird oftmals die Polizei hinzugezogen, die dann auch Anzeigen aufnimmt. Für Julia sind diese Reaktionen schwer nachvollziehbar: „Wir wollen den Menschen ja nichts Böses, deshalb verstehe ich nicht, warum unsere Hilfe mit Feindseligkeit beantwortet wird.“ Die psychische Belastung durch solche Vorfälle ist hoch. Iris schildert die persönlichen Auswirkungen: „Diese Angriffe führen dazu, dass man auch selbst unsicher wird. Man fährt mit einem unguten Gefühl los – gerade abends oder am Wochenende – und geht zunehmend vorsichtiger in einen Einsatz.“

Immer häufiger erleben die beiden Frauen, dass sie als Blitzableiter für gesellschaftliche Unzufriedenheit herhalten müssen. Julia bringt es auf den Punkt: „Da sind die Menschen dann sauer auf das Gesundheitssystem oder die allgemeine Lage – und wir bekommen es zu spüren. Was sie aber nicht bedenken: Die Zeit des Redens geht beim Patienten verloren und schadet ihm im Notfall.“

Eine gewisse Entlastung bieten Deeskalationstrainings, die Teil der Ausbildung sind, sowie die psychosoziale Notfallversorgung, die seit zwei Jahren auch Rettungskräften zur Verfügung steht. „Diese Abteilung ist bei Unfällen oder Unglücken nicht nur für Betroffene da, sondern auch für Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, um belastende Vorfälle aufzuarbeiten“, erklärt Christian Patschorke, Abteilungsleiter Rettungsdienst und Krankentransporte.

Ob sie trotz der Umstände wieder diesen Beruf ergreifen würden? Julia zögert: „Es gab in der Vergangenheit schon Momente, bei denen ich ans Aussteigen gedacht habe. Sicherlich gibt es auch schöne Seiten. Aber wenn es um meine eigene Sicherheit geht, bin ich nicht mehr bereit, alles zu akzeptieren. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen wieder mehr Respekt haben und verstehen, warum wir so handeln.“ Auch Iris würde den Beruf wieder wählen, wenngleich sie offen über ihre Zweifel spricht: „Schöner wäre es natürlich, wenn die Umstände andere wären. Es gibt durchaus Tage, an denen man zweifelt und alles hinterfragt. Aber im Grunde mache ich diese helfende Arbeit gerne.“

Ihr gemeinsamer Appell richtet sich an die Gesellschaft: mehr Rücksicht, mehr Verständnis – und vor allem mehr Respekt für diejenigen, die täglich im Einsatz sind, um Leben zu retten.

Quelle: NOZ

Von admin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert